Tobias Flemming (46) aus der Psychiatrie

Tobias Flemming (46) aus der Psychiatrie

Pflege ist hochprofessionell, erklärt Tobias. Der 46-Jährige hat sich bereits als Zivi bei seinem Arbeitgeber wohlgefühlt, heute ist er hier Pflegedienstleiter. Tobias Ansporn ist es, bessere Aussichten in der Pflege mitzugestalten. Im Pflegeprofi-Gespräch erzählt er, wie wichtig ein positives Arbeitsklima ist. Sein Wunsch, dass Kolleg:innen füreinander einstehen.

Tobias, wer bist du und wie bist du in die Pflege gekommen?

Ich bin Pflegedienstleiter im Zentrum für Psychiatrie Reichenau (ZfP), an dem ich damals auch meine Ausbildung gemacht habe. Für meine aktuelle Position habe ich eine Weiterbildung zum Fachwirt für Organisation und Führung im Sozialwesen absolviert. Wie ich hier damals gelandet bin? Meine Schwester machte damals ihre Ausbildung im ZfP, sodass ich bereits erste Einblicke in den Beruf als Pflegefachkraft erhalten konnte. Das fand ich spannend und habe hier deshalb im ZfP meinen Zivildienst absolviert. Ich habe mich im Team und mit den Aufgaben damals schon so wohl gefühlt, dass ich im Anschluss meine dreijährige Ausbildung zum Krankenpfleger im ZfP begonnen habe.

Kannst du noch ein bisschen genauer erklären, warum du dich entschieden hast, im ZfP zu bleiben?

Wenn man jung ist, weiß man bei den nächsten Schritten oft nicht genau, was einen erwartet. Deshalb war es sehr hilfreich, dass ich bereits in einem sehr guten Team integriert war – das übrigens noch heute in Teilen erhalten geblieben ist – und dadurch tolle Vorbilder hatte. Die sind bei der Berufsfindung ganz wichtig. Ich wurde als Mensch an die Hand genommen und mir wurden Struktur und Stringenz gegeben. Ich hatte sehr schnell Freude an dem Beruf, da ich Aufgaben bekommen habe, die mich wirklich gefordert und gefördert haben. Und es gab eine ehrliche Rückmeldung darüber, ob ich für den Beruf geeignet bin.

 

Reisen wir ein bisschen in der Zeit zurück – wie hast du deinen ersten Ausbildungstag empfunden?

Als der erste Ausbildungstag in der Schule begann, hat sich alles fremd angefühlt, wie das bei Neuanfängen immer so ist. Wir haben in den ersten Stunden nur über Krankheitskonzepte gesprochen, zum Beispiel über die Begriffe Krankheit und Gesundheit, das ist mir gut im Gedächtnis geblieben. Ich habe mich erst unsicher gefühlt, aber ich war in einer Klasse, in der es jedem so ging und deshalb sind wir schnell zusammengewachsen. Zudem war die Schule hier auf dem Gelände des ZfP, was mir Sicherheit gegeben hat. Das ZfP ist ein sehr familiärer Betrieb.

Warum bist du bis heute in der Pflege geblieben?

Am Anfang war ich beeindruckt, dass die Patient:innen meine älteren Kolleg:innen auf dem Gelände mit Namen grüßen – obwohl man so viele Patient:innen sieht. Da wollte ich auch hinkommen. Zudem hatte ich immer den Anspruch an mich selbst, meine Arbeit ordentlich zu machen und mit viel Hintergrundwissen zu füttern. Die Pflege ist hochprofessionell: Ich wollte nicht einfach nur pflegen, sondern auch bessere Rahmenbedingungen für die Pflege gestalten. Dieser Anspruch an mich selbst und meine Arbeit hat mich persönlich im Beruf gehalten. Einer meiner nächsten Schritte war die Weiterbildung zum Praxisanleiter, da ich Dinge, die bei mir in der Ausbildung nicht so gut gelaufen sind, als Anleiter besser machen wollte. Später habe ich zusammen mit anderen Kollegen eine Station aufbauen dürfen und habe diese später dann auch geleitet. Meine Motivation, Prozesse zu beeinflussen und die Qualität hochzuhalten, haben mich jetzt bis zur Pflegedienstleitung gebracht. Diese Arbeit gibt mir einfach sehr viel und deshalb möchte ich keine andere machen. Ich hoffe, dass ich meinen Job noch lange machen kann.

Du bist die Karriereleiter also steil nach oben geklettert. Warum war Weiterbildung so wichtig für dich und welche Aussichten gibt es für dein Berufsbild?

Ich hatte schon immer den Wunsch, nicht stillzustehen und da gibt es viele tolle Möglichkeiten in der Pflege und besonders hier im Landkreis. Die Übernahme der Stationsleitung hat mir für die berufliche und persönliche Weiterentwicklung schon viel gebracht – man lernt mehr Details und Zusammenhänge kennen, Qualitätsmanagement, ISO-Normen und auch Mitarbeiterführung gehören dazu. Ich wollte aber noch mehr Möglichkeiten erschließen um Prozesse zu verbessern. Deshalb bin ich Praxisanleiter geworden und habe meinen Fachwirt gemacht.

Leider wird die Pflege als anspruchsvolle Profession aber in der Öffentlichkeit als solche in großen Teilen nicht wahrgenommen. Wenn über Pflege geredet wird, muss mehr darüber aufgeklärt werden, dass sie hoch differenziert ist und nicht nur aus Krankenpfleger:innen besteht. Es gibt nicht „die Pflege“, sondern eine ganze Menge Differenzierungen von Ausbildungen und Qualifikationen. Ebenso gibt es inzwischen Berufskammern und einen eigenen Berufsverband. Kurzum, Pflegeberufe sind vielfältig und professionell und ich hoffe, dass das auch in der Öffentlichkeit stärker erkannt wird.

Was ist der Sinn deiner Arbeit und was motiviert dich jeden Tag?

Ich habe einen Beruf gewählt, der mir Sinn gibt: Menschen bleiben in diesem Job, weil sie hier gefordert werden und sich dazu berufen fühlen. Es gibt so viele spezielle Bereiche, wie den Umgang mit Maschinen und Medikamenten. In der Psychiatrie muss man erkennen, wenn ein Mensch nicht sagt, dass es ihm:ihr schlecht geht und ihn durch psychische Krisen begleiten. Dabei ist es ein großartiges Gefühl, wenn Menschen am Ende wieder nach Hause gehen und arbeiten oder wieder studieren können. Mich motivieren jeden Tag die Leute, die hier arbeiten und dass ich etwas Eigenes habe. Ich kenne meine Aufgaben und möchte ein Arbeitsklima schaffen, in dem die Menschen gerne arbeiten, füreinander einstehen, offen kommunizieren und Lust auf die Arbeit haben. Ich will nicht, dass hier jemand unglücklich ist und ungern zur Arbeit kommt. Das ist mein Ansporn.

 

Wie erfährst du Wertschätzung im Berufsalltag?

Wenn Patient:innen fragen, was man den Tag über gemacht hat, sich um einen sorgen und einfach wahrnehmen, wie es einem geht – das geht direkt ins Herz. Genauso, wenn sich Kolleg:innen mir öffnen oder sich nach mir erkundigen. Ich freue mich auch immer besonders, wenn meine Chefin mich lobt oder Kolleg:innen mir sagen, dass ich etwas gut gemacht habe oder ein guter Chef bin.

Welche Vorurteile gegenüber Pflege würdest du gerne aus der Welt schaffen?

Pflege kann jeder. Das ist eins der größten Vorurteile, auch wenn es in meiner Wahrnehmung schon viele Kampagnen mit diesem Slogan gab. Nicht jede:r ist in der Lage, diese Arbeit mit einem gewissen Qualitätsstandard auszuführen und man muss für den Beruf gemacht sein. Genauso finde ich, dass Beschreibungen wie “Pflege mit Herz“ die Professionalisierung mit Füßen treten. Es wird damit ein stereotypisches Bild gezeichnet, das nicht stimmt. Pflege ist eine Profession mit viel Wissen und Einsatzbereitschaft. Man muss den Beruf erlernen, da reicht es nicht, ein “Herz zu” haben.

Was ist dein persönlicher Ausgleich zur Arbeit?

Bewegung und Abschalten: Im Sommer fahre ich von Singen aus immer mit dem Fahrrad zur Arbeit. Da kann ich super bei abschalten. Neben der Bewegung liebe ich das Gärtnern in meinem Garten. Das empfinde ich als sehr meditativ; oder ich lege mich einfach in meine Hängematte, mache gar nichts und blicke in die schöne Landschaft.

Was ist das Besondere an der Pflege im Landkreis Konstanz?

Es gibt genügend Möglichkeiten, eine passende Stelle zu finden. Die Arbeitgeber hier sind zudem gut, da sie konstant und mitarbeiterorientiert sind. Sie bemühen sich sehr, gute Arbeitsplätze zu bieten. Zudem ist die Spezialisierung des Landkreises der Verbund – und damit die Verknüpfung untereinander, zum Beispiel der Lehrenden und der Akademien. Wir gehören alle zusammen.

Was liebst du an dem Umfeld, in dem du lebst?

Seitdem ich in Singen lebe, habe ich den Hegau lieben gelernt. Ich bin gleich am See – wie sagt man, ich lebe da, wo andere Urlaub machen. In Singen selbst herrscht ein tolles Klima mit ehrlichen Menschen und ehrlicher Arbeit. Die Menschen hier sind herzlich und ich habe großartige Freunde gefunden.